top of page

V/A - BYE-BYE B! (2002)

  • Disc Man B
  • 15. Juli 2016
  • 6 Min. Lesezeit

Diese hier ist gar kein richtiges Album, und gehört deswegen eigentlich gar nicht auf diesen Blog. Aber die Stories, die sich um dieses Scheibchen ranken, sind einfach zu gut, um sie hier nicht zu erwähnen: Es geht um Wikinger in Afrika, besoffene Stuntmen und darum, wie wir im alten Jahrtausend die Rohstoffmärkte gerockt haben.

Wie gesagt, diese hier ist kein richtiges Album. Sie ist ein gutes, altmodisches Mixed Tape mit den Songs, die mein Freund C.A. während seinen Geschäftsreisen in den Wartehallen der Flughäfen dieser Welt am liebsten gehört hat.

Zum einen ist diese selbst gebrannte CD das beste Abschiedsgeschenk, das ich an einem letzten Arbeitstag je von einem Firmenkollegen bekommen habe. Zum andern ist sie der letzte in einer Reihe von vier meilensteingleichen Tonträgern, die mich überhaupt erst dazu brachten, so richtig mit dem Sammeln von Musik loszulegen. Die Initialzündung also. Die Mutter der Rockarchive. Und damit ein Kollateralschaden astronomischen Ausmasses.

Diesem C.A., diesem hohen Tier in einer altehrwürdigen Handelsfirma, soll ich also quasi meine Sammlung verdanken? Das klingt aber gar nicht nach Rockenroll. Na denn, lasst mich ein wenig ausholen und in drei Episoden erläutern, weshalb dies sehr wohl Rockenroll ist. Und weil Trilogien derzeit ja nun einmal furchtbar hip sind, legen wir gleich los...

Episode 1: How we rocked the commodity markets

In diesem Kapitel erfahrt Ihr einiges über die schalldämpfenden Eigenschaften von Rohbaumwolle und wie Bruder P.s Ohr von Teufelsmusik heimgesucht wurde

Wir waren beide neu in der Bude, er als Händler, ich als Lehrling. Wir starteten beide im Musterzimmer, wo die Firma zehntausende Muster roher Baumwolle lagerte. Wir verbrachten unsere Tage dort mit dem Sortieren von ein- und ausgehendem Mustermaterial, wir zupften an der Rohbaumwolle herum, tippten Musteravise auf einer uralten Schreibmaschine und kamen irgendwann auf das Thema Musik zu sprechen. Und C.A., dieser Anzug- und Schlipsträger, dieser Anwärter auf einen Posten in der Direktion dieser staubigen Bude, entpuppte sich als Connaisseur feiner Rockmusik. Als Fan von AC/DC und dem grössten ROLLING STONES Freak, den ich je getroffen habe. Es stellte sich heraus, dass wir beide extrem gute Gitarristen waren - oder zumindest vorhatten, es mittelfristig noch zu werden.

Eins führte zum anderen, und kurz darauf schleppten wir beide unsere Klampfen und unsere Amps mit zur Arbeit, versteckten Sie unten im Baumwollager und liessen in der Mittagspause mit den ersten Akkorden die altehrwürdigen Gemäuer in ihren Grundfesten erzittern. Wir waren der Meinung, dass die wattigen Baumwollmuster, die dort unten zu tausenden lagerten, eine perfekte Schalldämmung böten und in den Bürogeschossen über uns nichts von unserem Act zu hören wäre. Weit gefehlt!

Wir vergassen nämlich den Liftschacht, der unsere ziemlich laut und rau geratene Version von "Sympathy For The Devil" punktgenau ins zweite OG übertrug, wo Bruder P., seineszeichens Vizedirektor der Firma und in einem Nebenamt ferner der höchste Priester der Mormonen in unserem schönen Ländle, noch immer geflissentlich seinen Dienst tat.

Die Begeisterung, die unserer Kunst daraufhin seitens der Direktion entgegengebracht wurde, hielt sich in Grenzen. In schmalen, engen und klar definierten Grenzen. Und keine Sympathie für den Teufel, nada!

Episode 2: Vodka, Gitarren und Babykram

In diesem Kapitel erfahrt Ihr, weshalb Tiefkühlpizza und furioses Gitarrenspiel zu einem tiefen Fall führen

Nach der Expérience im Baumwollkeller dachten wir uns, es wäre weise, unsere Sessions an einen neutraleren Ort zu verlegen. C.A. stellte dafür spontan seine Bude zur Verfügung. Seine Bude entpuppte sich allerdings als chice Attikawohnung, die er mit Frau und Baby bewohnte. Ich bezweifelte deshalb, ob dies wirklich die gewünscht neutralere Location wäre. Frau und Baby wurden an diesem Sonntag dann kurzerhand ausquartiert, sodass wir uns ungestört unserer Kunst widmen konnten.

Der Backofen belieferte uns mit heisser Pizza, das Tiefkühlfach mit eiskaltem Vodka. Derart inspiriert stiegen wir die Holzleiter hinauf, hoch in C.A.s Musikzimmer oben auf der Galerie. Wir stöpselten unsere Gitarren ein und versuchten uns an weiteren STONES Songs, an ein wenig PINK FLOYD und anderen Songperlen.

Der Vodka ging gefährlich gut runter. Ob dies unser Spiel verbesserte oder nicht, ist nicht überliefert. Deutlich in Erinnerung geblieben ist aber C.A.s Abgang nach unserer Session. Ich nahm ihm seine Gibson ab und liess ihm auf der senkrechten Holztreppe den Vortritt. Prompt verfehlte er eine der obersten Sprossen, kippte wie eine Tanne nach hinten und fiel in die darunter liegende Etage hinunter, mitten ins Laufgitter seiner Tochter. Mit einem höllischen Krach schlug er dort unten in einem Haufen Spielzeug auf. Völlig verdattert, aber – dem Vodka sei‘s gedankt – unverletzt, schaute er zu mir hoch, Rasseln und Greifspielzeug schaukelten ihm vor dem Gesicht, ein Bein baumelte noch über dem Gitter. Was für ein Abgang! Very much Rock’n’Roll!

Episode 3: Was die Wikinger in Afrika wollten

In diesem Kapitel erfahrt Ihr, wie der Autor dieses Beitrages schon bei seiner Ankunft in Afrika so richtig in die Scheisse langt, wieso er danach in kurzen Jogginghosen an einem Gala Dinner teilnimmt und wie zornige Ivorer die Wikinger schliesslich in die Flucht geschlagen haben

Es war meine erste Reise auf den dunklen Kontinent. Ich landete in Abidjan an der Elfenbeinküste, und natürlich dauerte es eine Ewigkeit, das Gepäck aufzusammeln und durch die Passkontrolle zu kommen. Ständig wurde ich angequatscht, von allen Seiten angetatscht und alle paar Schritte wechselte mein Gepäck den Träger. Waren das Zöllner? Beamte? Taschendiebe? Keine Ahnung. Ich war komplett überfordert, wurde von Moment zu Moment saurer, und bis ich das Flughafengebäude endlich verlassen konnte und C.A. auf dem Parkplatz traf, hatte ich schon eine Traube ebenso angesäuerter Ivorer um mich geschart, mit denen ich es gründlich verscherzt hatte und die von mir vehement Rechenschaft in diversen Belangen einforderten.

Die Situation war verworren, die Fronten verhärtet, die Gemüter gingen hoch. Es wurden Forderungen platziert und wieder Abrede gestellt, und bis wir den Wagen erreicht hatten, diese Traube im Schlepptau wie ein Schatten mit Eigenleben, waren alle so ziemlich auf mich eingeschossen.

C.A. behielt das Heft in der Hand. Er wies unseren Fahrer an, den Motor zu starten und stauchte dann die versammelte Meute mal so richtig zusammen. Dadurch entstand im Gewusel und Gelärm eine Zäsur, ein Augenblick des verdutzten Innehaltens nur, den C.A. und ich aber nutzten, um in den Wagen zu springen, und loszubrettern. Allen und allem davon, weg von den verdatterten, aber dennoch gehässigen Gesichtern der Gepäckträger, Zöllner, oder was immer sonst sie gewesen sein mögen.

Während dieser ersten Fahrt durch Abidjan, auf dem Rücksitz dieses alten, ausgeleierten Peugeots, die schwere, süss-feuchte Tropenluft durch die offenen Fenster einatmend, entspannte ich mich langsam wieder, und versuchte, wieder ganz Mann von Welt zu sein. Dieses Gefühl sollte aber nicht lange hinhalten…

Im Hotel angekommen, wies mich C.A. an, ihn zu einer bestimmten Zeit wieder in der Lobby zu treffen, und zwar in Hemd und Jackett (mit Krawatte, bitteschön!) – und untenrum in Jogginghosen und Laufschuhen. Echt?!

Aber mit mir kann man’s ja machen. So stand ich dann, im dämlichsten Outfit ever, an dieser Reception in diesem chicen Hotel. Gäste kamen und gingen. Kein C.A. weit und breit. Mehr Gäste kamen und gingen, und immer noch kein C.A. "So ein Sack", dachte ich mir, "der verarscht mich hier komplett, und ich Depp falle auch noch drauf rein!" Und als ich mich schon auf mein Zimmer zurückziehen will, geht die Lifttüre auf und da steht C.A. – in exakt demselben Tenue wie ich. "Let's go, wir sind spät dran", lässt er verlauten und lässt uns ein Taxi rufen.

Wieder brausen wir durch Abidjan, und ein tropischer Regen geht auf die Stadt nieder, in Bindfadenstärke. An der Location angekommen, wird mir mulmig: Ein Galadiner ist angerichtet, in diesem piekfeinen Club für Expats. Und wir zwei Honks tauchen in Sporthosen auf. Toll, danke auch, C.A.!

Aber was muss ich sehen? Die männlichen Gäste – alles irgendwelche hohen Tiere von irgendwas – tragen alle die Uniform des Abends: Hemd und Jackett (mit Krawatte, bitteschön!) – und untenrum Jogginghosen und Laufschuhe. Echt! Sie stehen alle tiefenentspannt da, kauen Häppchen, machen Small Talk und tragen ihre Jogginghosen wie ein Ehrenabzeichen.

Den genauen Grund für oder den Sinn dieses Outfits weiss ich nicht mehr, auch sonst ist der Verlauf des Dinners etwas in Vergessenheit geraten, denn C.A. und meine Wenigkeit sind in Hochform. Zum Ende des Events sind wir voll bis zu den Kiemen, aber voller Tatendrang und der Meinung, wir könnten dieses Abidjan im Sturm nehmen. Was wir auch zu tun gedenken. Und so beginnt eine lange Odyssee durch die Clubs, Bars und Spelunken dieser Stadt, und aus Jux geben wir uns überall als Norweger aus.

In einem Strassenrestaurant, den aufkommenden Bierhunger bekämpfend, lassen wir uns grossspurig mitten in einer Gruppe Ivorer nieder und reden ein Qauderwelsch mit ihnen, das für uns, und überraschenderweise auch für sie, norwegisch klingt. Immer noch in Sakko und Sporthosen behaupten wir, waschechte Wikinger zu sein und labern den armen Kerlen eine Frikadelle nach der anderen ans Ohr. Wir haben einen richtigen Lauf, ziehen eine riesen Show ab und haben die Lacher auf unserer Seite. Diese besoffenen Weissen mit der albernen Garderobe und der noch viel albernen Sprache sind doch unterhaltsame Kerlchen.

Aber dann kippt die Stimmung jäh. Plötzlich lacht keiner mehr. Die Gesichtsausdrücke werden gehässig. Mist! einer von uns zwei Witzbolden ist aus seiner Rolle gefallen und hat damit alles verkackt. Unser Publikum schnallt, dass wir es die ganze Zeit verarscht haben und wird sauer, aber so richtig!

Und zum zweiten Mal an diesem meinem ersten Tag in Afrika stürzen wir hastig in unser wartendes Taxi und suchen unser Heil in der Flucht.

Tja, und 2002 war dann vorerst Schluss mit weiteren Episoden. Ich kündigte meine Stelle bei der Firma und ging auf Reisen. Und C.A. schickte sich an, mir zum Abschied die CD zu brennen. Er packte guten Heavy Blues drauf, vornehmlich aus den Siebzigern:

Und der Rest ist Geschichte - seither strecke ich die Fühler ständig aus, erweitere die Sammlung und höre mir alles an, was ich ins Ohr bekommen kann.

Die Initialzündung eben.

Danke, C.A.!

コメント


ANDERE BEITRÄGE

© 2016 by Disc Man B. Pleased to rock you!

bottom of page