DR. HOOK & THE MEDICINE SHOW - DOCTOR HOOK (1971)
- Disc Man B
- 11. Apr. 2016
- 3 Min. Lesezeit

Wie Wegelagerer und Strauchdiebe sehen sie aus, die Typen auf dem Cover von "Doctor Hook", und mit Wegelagerern und Strauchdieben rechnet man nicht, wenn man Ferien am Lago Maggiore plant. Man rechnet mit dolce vita, gelati, im schlimmsten Falle mit Sonnenbrand – aber sicher nicht mit Wegelagerern und Strauchdieben.
Und so überfielen sie mich, DR. HOOK & THE MEDICINE SHOW.
Sie erwischten mich auf dem falschen Fuss, unvorbereitet und schlecht gewappnet, der Augenklappen tragende Ray Sawyer und seine zwielichtige Bande. Der Tatort, oder vielmehr der Ort des Hinterhalts, in den ich geriet, lag im höchsten Norden Italiens. Dort, wo der Lago Maggiore einen Knick in Richtung Schweizer Grenze macht, liegt ein kleines, sonnenverwöhntes Plateau, auf dem wir uns für eine Woche Ferien in einem Haus einquartierten.
Der Tathergang war dann so, dass ich im Wohnzimmer dieses Hauses schon bald auf eine Plattensammlung stiess.
Und wenn ich in fremden Gefilden ein Regal mit Schallplatten oder CDs entdecke, muss ich mir das genauer anschauen. Sagt mir nämlich einiges über den Sammler.
Und dieser Sammler musste in den irgendwann in den Siebzigern einen schönen Posten bei einer Plattenfirma oder einem Musikverlag bekleidet haben. Im Regal standen unzählige Originalausgaben aus den Siebzigern, teils Promopressungen, die so nie in den Handel gelangt sind und an die deshalb nur schwer zu kommen ist.
Die Genres waren bunt gemischt, liessen keinen genaueren Rückschluss auf den Geschmack des Sammlers zu, boten mir aber die Möglichkeit, mir bislang unbekannt gebliebene Alben und Bands zu entdecken und eine ganze Woche lang probe zu hören.
Ein gutes Dutzend Alben habe ich fein säuberlich abfotografiert und so meiner eternal wish list hinzugefügt. Die meisten davon befinden sich mittlerweile in CD-Form in meinen Rockarchiven, allen voran DR. HOOK & THE MEDICINE SHOW mit ihrem Album "DOCTOR HOOK", das später als "SYLVIA’S MOTHER" neu aufgelegt wurde.
Den gleichnamigen Titelsong kann man getrost vergessen, obwohl er gut gemacht ist, und der grösste Hit der Band war. Die restlichen Songs aber strotzen nur so von Spielfreude, und die Band muss im Studio alle Narrenfreiheit genossen und eine beträchtliche Menge bewusstseinserweiternder Substanzen zur Verfügung gehabt haben.
Bei diesen Sessions hätte man im Kontrollraum sitzen und sich - mit einer fetten Haschischzigarre in der einen und einer Pulle Jack Daniel’s in der anderen Hand – breit grinsend, einfach nur am guten Studio-Groove erfreuen sollen.
Diese Songs können einfach nicht nüchtern und straight komponiert, geschweige denn eingespielt worden sein, dafür hört man aus dem Album zu viel Spass heraus.
Beweise gefällig? Aber bitteschön: Zieht euch mal "Makin‘ It Natural" rein! Und wenn ihr dann nicht das Gefühl habt, irgendwoher Gras riechen zu können, dann stimmt mit euch einfach etwas nicht.
Auf dem Album wechseln sich schmachtende Balladen ("Kiss It Away"), poppige Feelgood-Schunkelsongs ("Hey, Lady Goodiva") und gute, alte Rocksongs ("Four Years Older Than Me") in einer Selbstverständlichkeit ab, die verblüffend ist.
Gespickt wird der lustige Strauss aus Stilrichtungen ausserdem noch mit dem unglaublich geilen Voodoo-Song "Marie Lavaux" und der Nummer "I Call That True Love". Die knorrige Reibeisenstimme Ray Sawyers, aber auch die nicht minder durch Whiskey aufgerauten Stimmbänder seiner beiden wackeren Mitsänger raspeln diese Songs derart auf, dass sie einem Furchen in die Gehörgänge feilen. Und so bleiben diese Songs genau dort haften, wo sie hingehören.
Ein Jahr nach "Doctor Hook / Sylvia's Mother" legten die Herren rund um den Komponisten und Texter Shel Silverstein bereits die nächste Scheibe nach, über die sich das oben Gesagte eins zu eins copy-pasten liesse: "Sloppy Seconds". Ein Must-buy für die geneigten Sammler des Genres.
Und dieser Silverstein, der hat’s ja faustdick hinter den Ohren! Der muss zu seinen Lebzeiten ein wahrer Sonnenschein gewesen sein.
Aus seiner Feder stammen so schaurig-schön poetische Songtextzeilen wie "Smear my body up with butter" und "I’ll kiss yours, if you kiss mine", oder sozialkritische Tiefgründigkeiten wie "We take all kind of pills to get us all kinds of thrills" und, ja, auch das noch: "Looking for pussy".
In den Fünfzigern arbeitete Silverstein als Texter und Cartoonist für das Playboy Magazine. Keine schlechte Beschäftigung! Aber mir stellen sich dabei spontan die folgenden zwei Fragen:
a) Gibt es tatsächlich Cartoons im Playboy? Und
b) Wo will einer, der, wie Shel Silverstein, eine Zeit lang in der Playboy Mansion gewohnt hat (in der Playboy Mansion, Mann!!!), überhaupt noch hin um nach Pussies zu suchen?
Und dieser berühmteste unter den Wegelagerern und Strauchdieben von DR. HOOK & THE MEDICINE SHOW, dieser ex Playboy-Angestellte und ex Bunny-WG-Bewohner, dieser Streber nach Vaginas und Texter von bösen Rocksongs, der war unter dem harmlosen Namen Onkel Shelby ganz nebenbei ein in den USA gefeierter Autor von Kinderbüchern.
Unglaublich, oder?
Aber very much Rock’n’Roll!
Comentários