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AC/DC - STIFF UPPER LIP (2000)

  • Disc Man B
  • 30. Apr. 2016
  • 5 Min. Lesezeit

Wer, wie wir, den Dalton Highway rauf und runter fährt, der braucht einen guten Soundtrack. Einen, den man über Tage in Endlosschlaufe runtereiern lassen kann, ohne dass er einen kirre macht. Denn der Dalton ist ein richtiges Biest von einem Highway.

Ein Highway, oder das, was man sich so darunter vorstellen könnte, ist er nämlich keineswegs. Im besten Fall ist er ein unbefestigter Streifen Kies und Steine, im schlimmsten Fall ein Fluss- oder Bachbett.

Die sehr spärlich aufgestellten Schilder warnen den, der noch nicht weiss, worauf er sich einlässt, vor Schlaglöchern, Steinschlag und wilden Tieren, ferner wahlweise vor Sturm, Schnee, und Blitzeis.

Die riesigen Trucks, die all diese ernst gemeinten Warnungen getrost in den Wind schiessen und einem mit optimistischen einhundert Sachen entgegendonnern, schleudern einem Kies, Steine und plattgefahrene Erdhörnchen auf die Windschutzscheibe, hinter die man sich ängstlich geduckt hält und betet, dass sie diesen Attacken standhält.

Die einzigen, gottverlassenen Ortschaften entlang dieser elenden Piste tragen die unheilvollen Namen Coldfoot und Deadhorse und haben dreissig permanent residierende Einwohner. Zusammengezählt.

Wem dies alles noch immer nicht reicht, um am Lenker schweissige Hände zu kriegen, dem sei hier noch kurz die Länge des Dalton Highways gesagt: 666 Kilometer. The Number of the Beast.

666 Kilometer von Fairbanks rauf bis nach Deadhorse - Mr James W. Dalton, der Konstrukteur dieses verkehrstechnischen Kleinodes, scheint einen rabenschwarzen Humor gehabt zu haben.

Sei’s drum. Wir waren jung, unwissend und eigentlich ununterbrochen entweder noch verkatert oder schon wieder besoffen. Wir waren voller Erwartung nach Fairbanks gekommen, aber die Stadt meinte es nicht besonders gut mit uns.

In einem schlimmen Viertel verbrachten wir eine schlimme Nacht in einem schlimmen Motel. Danach wechselten wir eine Zeitlang mehrfach etwas planlos den Standort, campten wie die Zigeuner, versteckt auf einem ungemütlichen Hügel ausserhalb der Stadt, und suchten Zerstreuung in diversen touristischen Aktivitäten. Schliesslich dämmerte uns aber, dass Fairbanks so deprimierend bleiben würde wie es nun ein Mal war, und wir beschlossen, dass wir uns in ein neues Abenteuer zu stürzen hätten. Und so traten wir die Reise an.

Mit unserem Motor Home, leidlich gefüllt mit Vorräten, fühlten wir uns gewappnet. Von den zuvor genannten, pikanten Details rund um den Highway wussten wir nichts.

Nicht weit hinter Fairbanks bekamen wir auf unserem Autoradio nur noch Countrysender rein, und schon bald verloren wir auch die noch. Aber sonst lief auf dem Weg nach Deadhorse eigentlich alles glatt, genau wie wir es in unserer Unwissenheit erwartet hatten. Wir überquerten den Yukon, dann den Polarkreis und die letzte, von Serpentinen zerschnitzte Bergkette vor der endlosen Tundra und sangen dabei zwei Tage lang den “Töff vom Polizischt“ und "Take me down to Paradise City". Das Wetter war gut, die Piste trocken unser Motor Home in Bestform. Deadhorse kam Kilometer um Kilometer näher.

Bei Gott, dieses Deadhorse ist die mühselige Reise nicht wert. Das wird einem klar, sobald man von weitem sieht, wie sich dieses Nest aus der Tundra herausschält. Ihr könnt das gerne googeln.

Wir fuhren in die sogenannte Ortschaft rein, und weil wir nach zwei Tagen Dauersingen kein Bisschen Bock mehr auf unser selbst gemachtes Unterhaltungsprogramm hatten, sahen wir uns im General Store, dem einzigen Laden, der gleichzeitig Restaurant, Motel, Post Office, Apotheke und ganz allgemein die Anlaufstelle für alles und jeden war, nach Musik-CDs um.

Die Erwartungen war nicht sehr hoch, aber - quelle suprise! - sie führten das soeben erschienene "Stiff Upper Lip" Album unserer Helden, den allmächtigen AC/DC. Unser Haushalt auf Rädern wurde so um einen wichtigen, neuen Artikel aufgestockt.

Aber danach muss in Deadhorse irgendetwas schiefgelaufen sein. Ich weiss noch, dass wir uns morgens um drei die Mitternachtssonne anschauten, und dass an Schlaf wegen der permanenten Helligkeit nicht zu denken war - und das schon seit Tagen nicht.

Sleepless in Deadhorse - schlimmer geht’s echt nicht. Dort, am Ende der Welt, gibt es nicht einmal Alkohol zu kaufen.

Wir wurden unruhig, richtig hibbelig, und aufgrund des Schlafmangels fällten wir schlechte Entscheidungen. So verwundert es im Nachhinein nicht, dass wir "Stiff Upper Lip" in unser Autoradio schoben und es eine prima Idee fanden, die ganze Strecke nach Fairbanks auf der Stelle wieder zurückzufahren. Wie Brian Johnson auf "Stiff Upper Lip" so schön singt: "You Know I Can’t Stand Still".

Der Rückweg nach Fairbanks war, in Kilometern gemessen, sinnigerweise genauso lang wie der Weg von Fairbanks hierher. Dennoch war die Empfindung dann eine komplett andere; es dauerte ewig und drei Tage.

Gleich hinter Deadhorse gerieten wir in Nebel. Ein Nebel von der Sorte, den man in grosse Blöcke schneiden und beiseite stapeln kann. Wir tasteten uns mit unserem Motor Home im Schritttempo Meter um Meter vorwärts. Karibus tauchten aus dem Nebel auf und verschmolzen wieder damit wie schamanische Geister aus dem Jenseits. "You Know I Can’t Stand Still" – die CD ging zum ersten Mal durch den Repeat Mode.

Der Nebel lichtete sich, aber nur, um den Blick auf die miserablen Strassenverhältnisse frei zu machen. Also weiter im Schritttempo. "I Can’t Stand Still" kam schon wieder an die Reihe. Und wieder und wieder. An Anhalten und Beine vertreten war nicht zu denken, denn dichte, schwarze Wolken aus Moskitoschwärmen warteten nur darauf, sich aus dem sumpfigen Tundraboden zu erheben und unser aus Übersee importiertes Frischblut zu kosten.

Irgendwann und irgendwie überquerten wir die Brooks Range. Unsere CD schien nur noch aus "I Can’t Stand Still" zu bestehen. Wir wechselten uns beim Fahren ab, Stunde um Stunde, keiner schlief. "I Can't Stand Still, I Can't Stand Still, I Can't Stand Still." Die Augen starr auf die sich ständig windende und mäandrierende Schotterpiste und ihre Schlaglöcher geheftet, übermüdet, hypnotisiert, völlig weggetreten. Nur so ist zu erklären, dass wir Coldfoot erreichten und dies lediglich als eine weitere Wegmarke periphär zur Kenntis nahmen.

Und weiterfuhren.

Ohne anzuhalten.

Und ohne zu tanken.

Um es kurz zu machen:

Wir schafften die 105 Meilen bis zur nächsten Tanke nicht. Natürlich nicht. Keiner hat die je geschafft, ohne in Coldfoot zu tanken. Es steht in jedem Reiseführer, ohne Ausnahme, dick und fett, mit einem roten Rahmen rundherum: "In Coldfoot muss getankt werden!" - "Unbedingt!" - "Ohne Wenn und Aber!"

Drauf geschissen!

Viele Stunden und viele Male "I Can’t Stand Still“ später: Zurück in Fairbanks! Geschlagen, gezeichnet und die Schnauze so gestrichen voll, dass es für mehrere Leben reicht, aber immerhin am Ziel.

Wir nahmen wir uns in einem Motel ein Appartement mit zwei Schlafzimmern. Und obwohl wir uns kaum noch auf den Beinen halten konnten, gingen wir auf einen Willkommensdrink in die gegenüberliegende Bar, den Staub des Highways abspülen.

Der Rest ist Geschichte und sehr diffus: Aus einem Willkommensdrink wurden viele, und vermutlich kam dann Bier dazu. Sicher ist, dass wir irgendwann auf Long Island Ice Teas wechselten und über viele Runden dabei blieben.

Schliesslich waren wir so bedient, dass wir es gerade noch über den Parkplatz zurück in unser Appartement schafften, wo wir in unseren Zimmern umkippten und uns zwei volle Tage lang nicht mehr zu Gesicht bekamen.

Etwas muss noch nachgeschoben werden, nämlich die Moral von der Geschicht': Neben "Stiff Upper Lip" gab es im General Store in Deadhorse noch eine zweite CD zu kaufen: "Supernatural" von SANTANA. Wohl wissend, wie lange wir auf dem Rückweg nach Fairbanks unterwegs sein würden, kauften wir auch die.

Aber "Supernatural" erwies sich nicht als der Soundtrack, den man über Tage in Endlosschlaufe runtereiern lassen kann, ohne dass er einen kirre macht. Leider überhaupt nicht. Au contraire - "Supernatural" macht einen sehr schnell und sehr effizient kirre.

"Stiff Upper Lip" dagegen ist sehr wohl der perfekte Endlosschlaufensoundtrack, der einen pumpend und stampfend über endlose Highways peitscht und in der Spur hält, auch wenn man als Fahrer längst nur noch dank dem inneren Autopiloten funktioniert.

Ich bilde mir ein, dass AC/DC ihre wahre Freude daran hätten, wenn sie wüssten, dass wir uns ihr Werk auf dem Highway to Hell während sage und schreibe 666 Kilometern im Repeat Modus angehört haben!

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