ALICE COOPER - ALICE COOPER GOES TO HELL (1976)
- Disc Man B
- 6. März 2016
- 4 Min. Lesezeit

Was geschieht mit uns, wenn wir ins Licht gehen und der letzte Vorhang hinter uns fällt? Geht es weiter mit uns, und, wenn ja, wo gehen wir hin? Gibt es eine andere Seite, einen Himmel, eine Hölle?
Einer weiss es ganz genau: Der "dirt talkin‘, beer drinkin‘, women chasin‘ minister’s son", Vincent Damon Furnier.
Er fährt zur Hölle, verbringt dort eine "hell of a time" und hat sogar die Eier, mit dem Teufel über sein Schicksal zu verhandeln.
Ob er damit durchkommt? Bekommt er einen gratis Upgrade und steigt in den Himmel auf? Und wer zum Teufel ist dieser Vincent Damon Furnier?
OK, als erstes werde ich versuchen, ganz flugs das Fluchen und das Anrufen des Deibels zu unterlassen. Man weiss ja nie…
Als zweites muss ich hier etwas weiter ausholen. Wir befinden uns im Zeitalter des Downloadens von Songs um dem Sharen von mp3 files. Da ist nun leider nichts mehr dran zu ändern. Es ist ja auch nicht so, dass an der modernen Welt alles schlecht wäre. In den Siebzigern zum Beispiel hätte ich diesen Blog auf Schreibmaschine schreiben (content creating), mit Umdruckmaschine vervielfältigen (sharen) und die Blätter dann an Bäume und Telegrafenmasten nageln (posten) müssen. Also lassen wir das Thema besser, auch wenn heute musikalisch halt eben doch alles anders läuft, als zu der Zeit, als ALICE COOPER sich anschickte, zur Hölle zu fahren.
Die Künstler von früher, von viel früher, meine ich – noch vor David Hasselhoff und auch noch vor Nena –, die produzierten und veröffentlichten noch ganze Alben mit verschiedenen Songs. Während die Songs auf den Alben der Sechziger oft noch etwas zufällig zusammengewürfelt wurden, waren in den Siebzigern die Konzeptalben schwer angesagt. Ein Konzeptalbum ist – ach, lest das doch selber bei Wikipedia nach. Ich muss hier wirklich nicht alles neu erfinden… Schöne neue Welt! Macht Euch einfach selber fit und lest dann hier weiter.
Willkommen zurück, followers!
1976 hat sich Vincent Damon Furnier, der Sänger der mittlerweile inaktiven Band ALICE COOPER, bereits offiziell in ALICE COOPER umbenennen lassen und nutzt den Namen für seine frisch lancierte Solokarriere. Sein zweites (Konzept)-Album "Alice Cooper Goes To Hell" erscheint und erzählt in elf unglaublichen Songs die Geschichte des Niederfahrens in die Unterwelt. Zusammengestellt wie ein Musical wirken die Songs theatralisch und liegen stilistisch teils sehr weit auseinander, die Thematik und das Konzept spannen aber den Bogen und halten die ganze Expérience beisammen. Setzen wir uns mit ALICE auf die Anklagebank:
Im Opening Track "You Can Go To Hell" werden uns Angeklagten am Jüngsten Tag die Punkte der Anklage vorgelesen. Die Beweise lasten schwer, genau wie die Gitarrenriffs und die Bläsersätze, Zeugen zeigen mit dem Finger uns, das Urteil wird gefällt: Wo wir hingeschickt werden, brauchen wir uns nicht allzu warm anzuziehen. Es geht los. Hinunter, tiefer und immer noch tiefer. Wir hören seltsam klagende und lockende Stimmen - die Sirenen rufen uns. Dann, der Lift hält ganz unten, sind wir da.
Hitze schlägt uns entgegen, die Augen gewöhnen sich nur schwer an die trocken sengende, schweflige Luft. Was sehen wir? Besessene! Besessende, die zu einem Discorockbeat tanzen ("You Gotta Dance"). Kein Zweifel, das kann nur die Hölle sein!
Und Obacht, da kommt auch schon der Chef! Der Teufel persönlich singt den nächsten Track ("I'm The Coolest"). Ziemlich von sich selbst eingenommen, der Typ, und ironischerweise hält er sich für besonders cool ("I mean, I gotta be the coolest, who else could it be?"). Einen lässigen Swing hat er zumindest drauf, das muss man ihm lassen! Mit dem lässt sich sicher ein Deal machen.
So kommt es zum (zumindest songtexterischen) Höhepunkt des Albums, dem Feilschen mit dem Deibel in "Give The Kid A Break", das voller Wortspielchen steckt und kaum origineller sein könnte. Es ist ja wohl sonnenklar, dass wir nicht in die Hölle gehören. Wir sind hier falsch, merkt er das denn nicht? Können wir nicht einen Deal machen, um Himmels willen?!
Oops, falsche Wortwahl! Wir lernen sehr rasch, dass derartige Redewendungen in diesen Breitengraden nicht gerne gehört werden und der hiesige Betriebsleiter Wert auf eine gepflegte Diskussionsbasis legt. Schliesslich entgleiten uns die Verhandlungen, und sogar die Sänger des Backgroundchores verschwören sich gegen uns. Wir werden ein für alle Mal in die Pfanne gehauen. Teufel auch! Oh, pardon, nicht heiss werden!
Schliesslich müssen wir uns eingestehen, dass wir doch nicht ganz unschuldig sind. In "Guilty" finden wir Mängel an uns selber, von zu schnellem Fahren, dem Umgang mit bösen Mädchen bis zum Tragen von Make up. OK, das sind tatsächlich Argumente gegen uns, und wir fügen uns in unser Schicksal.
So eine Ewigkeit ist eine aber verdammt langatmige Sache, das wird uns nun klar. Harzig verstreicht die Zeit nur, wir haben kein WiFi und uns ist langweilig. Am liebsten möchten wir nach Hause schreiben ("I'm having a hell of a time my dear, wish you were here"), aber die verkaufen hier keine Postkarten. Wie zur Hölle kommen wir aus derselben nur wieder raus?
Es ist einfacher als gedacht, und eigentlich fast zu simpel. Aber keine Angst, heute wissen wir mittlerweile, weshalb: Das ganze diente einem höheren Zweck!
Mit der Ballade "I'm Going Home" erwachen wir ganz simpel aus dem Albtraum und unser Preview from hell, unser Schnuppertag jenseits des Styx, ist aus und vorbei. Alles OK und alles beim alten! ALICE COOPER lebt und wird sich kein Bisschen ändern.
Dass ALICE COOPER aus der Hölle zurückgekehrt ist, und heute glücklicherweise noch lebt, verdanken wir allein der Weisheit der Rockgötter. Denn etwas nagt schon seit langem an mir: Ist es nicht unfair, dass die wirklich guten Musiker und Künstler von früher, die Musik noch so gemacht haben, wie ich sie mag, zum grössten Teil bereits tot sind und in der Hölle schmoren, während all die Pappnasen, die sich heute völlig ungerechtfertigterweise in den Heavy Rotations der Radiostationen tummeln, noch quicklebendig sind und auf Wolke sieben Champagner süffeln? Wo bleibt da die Gerechtigkeit?
Ich bin der Meinung, wir sollten ALICE COOPER heute nochmal zur Hölle schicken. Er weiss den Weg, er kennt die Ansprechpersonen, er spricht die Sprache. Schicken wir ihn zurück, zurück, zu neuen Verhandlungen mit dem Geissfuss!
Alice ist heute um knapp vierzig Jahre erfahrener und hat diesmal gewiss mehr Erfolg. Vielleicht erreicht er, dass unsere toten Rock'n'Roll-Helden zum Leben erweckt werden und bringt sie alle zurück.
Und wer weiss, vielleicht nennen sie sich dann HOLLYWOOD VAMPIRES und bringen zusammen ein verdammt gelungenes (Konzept-)Album raus.
Wenn's soweit ist, gebe ich sofort Bescheid.
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