BETTY BOO - GRRR! IT'S BETTY BOO (1992)
- Disc Man B
- 1. März 2013
- 2 Min. Lesezeit

Sommer 1992: Der einundvierzigste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, George W. H. Bush, übergibt sich auf dem Höhepunkt eines Banketts in den Schoss des japanischen Premierministers, Schwergewichtler Mike Tyson gerät wieder mit der Justiz in Zwist und der Autor dieses Artikels leidet an Weltenblues, gebrochenem Herzen und allgemeiner Langeweile.
Frau A.L., ihres Zeichens die erste in einer (mittel)langen Reihe von (erfolgreich) Angebeteten, hat sich soeben von mir getrennt und hinterlässt eine ozonlochgrosse Lücke der Tristesse.
Die Grosswetterlage wäre auch ohne dieses Ereignis schon alles andere als rosig gewesen: Mir, einem Obstufenschüler, der bei den Eltern wohnt und trotz redlicher Bemühungen noch keinen gescheiten Schnauz hinbekommt, zeigt das Leben so ziemlich die Arschkarte. Ausserdem ist vernünftige Rockmusik wieder einmal im Niedergang begriffen.
Glücklicherweise wird sich die Welt jedoch noch im selben Jahr grundlegend verändern. Aufgrund der vorgenannten Unsäglichkeiten entdecke ich nämlich Alkohol und Zigaretten, und BETTY BOO veröffentlicht ihr zweites Album "GRRR! It's Betty Boo".
Die gekoppelten Kräfte dieser epochalen, umwälzenden Neuerungen werden mir helfen, meinen Liebeskummer zu überwinden und dem Weltenblues ein Ventil zu geben.
Parties gewinnen mit der Neuentdeckung Alkohol plötzlich an Reiz, liegen aber selten im Bereich des Möglichen. Haupthindernisse sind das Vorhandensein strenger Eltern und das Nichtvorhandensein monetärer Ressourcen. Aber schon das blosse Zusammenhocken mit Freunden ("abhängen" war noch nicht erfunden) macht mit ein paar Flaschen Haldengut gleich viel mehr Spass. Abends rauchend um die Häuser zu ziehen wird eine vollwertige Freizeitbeschäftigung, und der Partyraum im Keller von Herrn D.R.s Wohnblock wird Abend für Abend zur BETTY BOO Schmachtzentrale. Zu Recht! Frau Boo, oder Frau Clarkson mit bürgerlichem Namen, versteht es vorzüglich, die Emotionen von Sechzehnjährigen hochgehen zu lassen und die Lunte ihrer hormonellen Pulverfässer anzustecken. So blätterten Herr D.R. und ich Abend für Abend durch das bunt bebilderte CD-Booklet und diskutierten, welches Foto unserer Angehimmelten das allerschürfste sei: Frau Boo als Vamp, einem Strauss Rosen die Köpfe abschneidend, Frau Boo im sündig glänzenden Latexoutfit oder Frau Boo als Kuscheltraumfrau mit Endlosbeinen und Riesenteddy (Mann, was haben wir diesen Teddy gehasst!). Ja ja, Musik war ja auch noch drauf auf der CD. Immerhin hat Frau Boo als gelernte und ausgebildete Tontechnikerin am süffigen Sound selbst Hand angelegt. A propos Hand anlegen: "Mit Genuss zum Erguss" - so lässt sich der Sound am besten umschreiben. Und ohne Scheiss – ein, zwei Ohrwürmer sind tatsächlich mit drauf! Jahre später, kurz vor Ende des letzten Jahrtausends: Swissair Flug 111 crasht an der kanadischen Küste, Windows 98 kommt auf den Markt, und hartnäckig hält sich das Gerücht, Frau Boo habe in einem pornographischen Werk blank gezogen. Beweise liegen dem Autor bis dato leider keine vor, aber Sex sells auch gerüchteweise, und der neuerliche Hype um Frau Boo verhilft ihr zu einer wahren Renaissance. BEETROOT & THE HORNY HORNETS beginnen ihre Konzerte mit "I'm On My Way" und einer dazu passenden, ausgefeilten Choreographie als Intro. So geht Kult. Wieder ein paar Jahre später: Die Welt ist eine bessere! Griechenland ist zwar pleite, aber die gute alte Rockmusik ist wieder derart in Mode, dass sogar Status Quo wieder in Originalbesetzung auf Tour sind, und BETTY BOO wird durch einen lobhudelistischen Bericht des landesweit führenden Musikforums (nämlich diesem hier) wieder zu Weltruhm verholfen.
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