KONZERTBERICHT FRANTIC FOUR
- Disc Man B
- 20. März 2013
- 5 Min. Lesezeit

"The number one rock'n'roll band in the land… will you welcome… the magnificent Statuuus Quuuooo!"
Wenn ich ein STATUS QUO Konzert besuche, steche ich in der Regel aus der Zuschauermenge heraus.
Man sagt mir die Angewohnheit nach, ein ganz klein wenig durchzudrehen. Es kann durchaus vorkommen, dass ich den Bogen bereits nach wenigen Songs überspannt habe und Zoff mit den umstehenden Semi-Fans bekomme. Verschiedene, normalerweise positive, Ausdrucksformen des Fanseins werden mir dann negativ angelastet: Zu lautes Mitsingen, zu heftiges Brüllen, zu starkes Hüpfen. Alle, die mich jemals an einen QUO Gig begleitet haben, wissen das. Und genau deshalb kommt ja auch keiner mehr mit.
Als ich aber dereinst im März nach London reiste, um Zeuge der für Jahrzente lang unmöglich gehaltenen Reunion der Originalbesetzung zu werden, war alles etwas anders. Obwohl ich diesmal noch übler als sonst ausser Rand und Band geriet, fiel ich überhaupt nicht auf. Echt! Kein bisschen. Ich war lediglich ein Spinner unter vielen. Denn simultan mit mir tickte das ganze, rund 5'000 Fans starke Publikum komplett aus, brüllte jedes Lied von A bis Z unisono mit, hüpfte, sprang, schrie und applaudierte bis zur Sehnenscheidenentzündung. So wie es sich verdammt nochmal gehört.
Und als es auf beiden Seiten des Bühnengrabens feuchte Augen und Tränen gab, geriet das Konzert zu einer beinahe spirituellen Erfahrung. Aber erst mal von vorne.
Mit etwa sieben oder acht Jahren bekam ich von einem Nachbarjungen eine alte, x-fach überspielte Musikkassette. Die verblasste Bleistiftbeschriftung war nur noch knapp lesbar, Seite A: "Just Supposin", Seite B: "Living On An Island".
Die Kassette befindet sich noch heute in meiner Sammlung, und ist vermutlich das am stärksten genutzte und zäheste Musikmedium ever.
Ein paar Jahre später bekam ich eine weitere Musikkassette, diesmal von meinem Kusäng überspielt: "In The Army Now".
Ich fand beide Kassetten klasse, spielte sie solange vor und zurück, bis mir meine Eltern mit der Vertreibung aus den heimischen Gestanden drohten, und brachte es dabei fertig, etliche Jahre nicht zu realisieren, dass sie von ein und derselben Band stammten.
Und hier sind wir bereits beim Thema, über das QUO Fans am liebsten streiten: Altes Line Up (STATUS QUO vor 1985) versus neues Line Up (STATUS QUO ab 1986). Ich habe mich auf diesen Streit nie eingelassen, denn das neue Line Up war ja logischerweise gleichzeitig das einzig verfügbare, und damit basta.
Das änderte sich jedoch Anfang November 2012, als sich die Gerüchte bewahrheiteten und die Reunion Tour offiziell angekündigt wurde. Für mich war klar, dass ich für ein Konzert der FRANTIC FOUR mit Francis Rossi, Rick Parfitt, Alan Lancaster und John Coghlan um die halbe Welt reisen würde (wie auch für ein Konzert der Faces).
Und wenn ich für genau diesen Fall jahrelang einen Teil meines sauer verdienten Lohnes beiseite gelegt hätte, so hätte ich an jenem Tage vermutlich die folgenden, markigen Worte gesprochen: "Weib, reiche mir die Scple mit dem Ersparten. Gen Britannien will ich ziehn."
So aber meldete ich mich im Büro lediglich für einen ganzen Vormittag besetzt und buchte online die Tickets, den Flug und das Hotel: Status Quo, Reunion Tour, Saturday March 16th, 2013, Hammersmith Apollo, London, England, yeah!
Im Vorfeld der Tour gab es auf einschlägigen Fanforen bereits herrliche Kommentare zu lesen. Ältere Semester von Hardcore Fans, die von sich behaupteten, dass Ihre Mähne in Ehren ergraut oder ausgefallen sei, kündigten an, sich in ihre Fanshirts von 1984 zu zwängen oder es zu mindest wieder einmal versuchen zu wollen.
Andere hatten vor, Ihre Söhne und/oder Väter an die Konzerte mitzubringen. Alles in allem waren die Erwartungen riesig, und man konnte damit rechnen, dass ich den Altersdurchschnitt herunterreissen würde, was in meinem Alter bereits für einen zusätzlichen Feelgood Vibe sorgt.
Der grosse Tag kam, und ich fand mich in London ein. Das Gebiet rund um die Hammersmith Station war bereits fest in Händen der QUO Fans. Auf der Suche nach Pub Food und einigen Pre-Gig-Pints betrat ich das Distillers Pub auf der Rückseite des Hammersmith Apollo, in dem es bereits um 16.00 Uhr aussah, als wäre darin eine Schlacht geschlagen worden.
Die QUO Coverband STATED QUO hatte soeben ihr Set beendet, um dem Rugby Matches England - Wales auf Grossleinwand Platz zu machen. Der Laden war zum Bersten voll mit trinkfreudigen Engländern (oh Wunder), Walisern, Schotten, Iren, Holländern und Wassonstnochs.
Dooferweise stellte ich mich mit meinem ersten Pint genau auf die Demarkationslinie zwischen den englischen und walisischen Rugbyfans. Da aber beide Fraktionen vornehmlich QUO Fanshirts trugen, war ein gemeinsamer Nenner gegeben, was mein Standortrisiko erheblich reduzierte. Um 18.00 begab ich mich vor die Venue, wo Reisebusse aus Holland und Polen gerade ihre lustige Fan-Fracht entluden, die sich dann mit einer bunt gemischten Schar Fans aus Deutschland, Japan, Spanien, Frankreich, Helvetien und allen möglichen Teilen des Empire vermischte. Türöffnung dann irgendwo um sieben. Nix wie rein, und siehe da, in Reihe fünf war noch ein lauschig Stehplätzchen für mich frei.
Es gab eine Vorband, das schon. Sie war jung, laut und ziemlich gut (THE TREATMENT), aber in Anbetracht der bevorstehenden Hauptattraktion auch schnell wieder vergessen. Sympathisch war allerdings, dass die Jungs nach dem Gig im Foyer fleissig Hände schüttelten und sich mit Fans fotografieren liessen.
Aber zurück zu QUO, denn gleich gehen die Lichter aus. Showbeginn! Die Lichter gehen also aus. Showbeginn! Der Vorhang mit dem Logo des "Hello!" Albums kommt runter und da stehen sie: Die FRANTIC FOUR. Die Legenden, die Helden, die Opas. Fünfundsechzig sind sie im Schnitt, und alle mehr oder weniger gezeichnet vom Rock'n'Roll und dessen Begleiterscheinungen.
Und in der Tat: Zwei von ihnen sind John Coghlan und Alan Lancaster. Persönlich! Direkt vor mir. Es ist unfassbar, die Reunion findet tatsächlich statt!
Zum Gebrüll der 5'000, welches sogar Bravehearts Armee schlecht aussehen liesse, geht's los. Dann, nach "Junior's Wailing", "Backwater" und "Just Take Me" kündigt Francis Rossi endlich seine alten Weggefährten an: "Ladies and Gentlemen... Alan Lancaster and John Coghlan!". Wir begrüssen sie mit einem Gebrüll, das nicht enden will. Das Haus bebt, ich blicke um mich. Gestandene Rocker, deren Jeansjacken nur noch von Bandbadges zusammengehalten werden, haben Tränen in den Augen. Alte Leitwölfe und veritable Silberrücken lassen ungeniert Salzwasser ab, und auch die beiden Herren auf der Bühne haben feuchte Augen und einen sichtlich dicken Kloss im Hals. Woah!
Die Setlist widerspiegelt mehr oder weniger die Jahre '73 bis '77, und die Band steht in Flammen. Klar, Mr. Lancaster wirkt ziemlich fragil auf den Beinen, aber sein Gesang ist druckvoll und die Basslinien präzise.
Mr. Coghlan ist hochkonzentriert und grimmig wie eh und je, spielt mit sehr fliessenden Bewegungen, und rockt allgemein wie Sau. Der Mann ist bescheiden und unspektakulär, aber sein Beitrag zum QUO-Sound ist immens.
Die Überraschung des Abends ist aber Rick Parfitt. Wenn er an normalen Abenden schon nicht zimperlich in die Saiten langt, so ist er an diesem Abend eine rabiate, brutale Furie. Da möcht' ich lieber nicht Gitarre sein!
Der Sound ist tight und die Lautstärke enorm, und trotzdem ist der Gesang der 5'000 beizeiten lauter als die Band. Zu "Railroad" erscheint plötzlich Bob Young, Tour Manager aus den 70ern und Co-Autor diverser Hits, auf der Bühne und schmettert ein Solo mit der Blues Harp.
Bei den ersten Takten des Gitarrensolos von "4500 Times" brechen schliesslich alle Dämme. Die ganze Halle (und das ist wörtlich gemeint) hüpft und schreit im Takt, darunter auch Männer, die das Pensionsalter längst erreicht haben und eigentlich um ihre Hüftgelenke besorgt sein müssten.
Als Alan Lancaster als letzte Zugabe "Bye Bye Johnny" singt, und den Fans die Vergänglichkeit dieser Reunion schmerzlich bewusst wird, sind glücklicherweise alle schon so verschwitzt, dass man die Tränen nicht mehr so gut sieht. Und das war's dann von den FRANTIC FOUR. "Thank you and good night." Die Reunion, die über dreissig Jahre unmöglich schien, hat stattgefunden und ist schon wieder vorbei. Oder doch nicht...? Datum: 16.03.2013
Location: Hammersmith Apollo, London
Zuschauer: ca 5‘000
Setlist: Junior’s Wailing / Backwater / Just Take Me / Is there A Better Way / In My Chair / Blue Eyed Lady / Little Lady / Most Of The Time / (April) Spring, Summer And Wednesdays / Railroad / Oh Baby / 4500 Times / Rain / Big Fat Mama / Down Down / Roadhouse Blues / Don't Waste My Time / Bye Bye Johnny
Vorband: The Treatment
Comments